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Lektüre von Rancière: la Mésentente: de l’archipolitique a la méta-politique

Das Politische bei Rancière ist ursprungsfrei oder grundlos. Bestimmt wird es nur vom Prinzip der Gleichheit, die jedoch nicht in Reinform zur Geltung gelangt, sondern gebrochen durch ihr Gegenteil, das Unrecht. Wenn Unrecht sich Gehör verschafft oder unter Unrechtsverhältnissen leidende Menschen diese anklagen und gleiche Rechte einfordern, kann von Politik gesprochen werden, laut Rancière.

Ausgespart ist hierbei die politische Organisation der Demokratie, das demokratische politische System, mit Verfassung, Gewaltenteilung, sowie den einschlägigen Entscheidungssprozessen, z.B. der Gesetzgebung.

Es gibt einen politischen Prozess, der schon vor aller Begründung da ist. In diesem Sinne kommt die Philosophie immer zu spät, aber auch die Demokratie, die eine Art regulierendes Instrument darstellt, für einen Kampf des Interessenausgleichs.

Wichtig scheint es Rancière zu sein zu sagen, dass die Demokratie nicht mit Gleichheit gleichbedeutend ist. Es gibt immer einen Abstand oder das Ziel ist nie erreicht. Es kann nur immer eine bestimmte Gruppe der Gesellschaft bestimmte Rechte im Namen der Gleichheit für sich reklamieren und durchsetzen.

Dies beschreibt Rancière recht schwammig, indem er von der Begegnung der polizeilichen und der Gleichheistlogik spricht. Diese Ausdrucksweise erscheint mir recht aufgeladen und unpräzise und lässt viele Sichtweisen zu.

Abgesehen davon beschäftigt sich Rancière mit möglichen Einwänden, die gegen seine Konzeption bestehen könnten. Vor allem von platonischer Seite, wonach die Politik ein philosophisches Ideal ausdrücken sollte. Den Rückgriff auf die platonische Philosophie lässt Rancière unerklärt. Die Frage ist, weshalb für eine zeitgemäße Formulierung politischer Philosophie Widerspruch von platonischen politischen Prinzipien erwartet werden kann. Hier wird nicht deutlich, wofür diese Einlassung steht.

Es gibt die wahre politeia bei Platon, unterschieden von den politeias im Plural, wozu auch die Demokratie zählt. An einer Stelle macht Rancière den Übertrag (S. 98) und spricht von denen, die heute die gute Republik der zweifelhaften Demokratie gegenüberstellen. Heute bezieht sich dabei wohl auf das Frankreich zu Beginn der 90er Jahre.

Allerdings ist die aktuelle Staatsform natürlich keine Ausformung antiker Vorstellungen. Dies sieht Rancière natürlich. Für die weitere Argumentation ist für ihn ein logisches Problem entscheidet, welches die Demokratie hat, das der Teilhabe der Anteilslosen. In drei Ausformungen der politischen Philosophie wird dieses Paradox verarbeitet: die Archi-, Para- und die Metapolitik.

Die Archipolitik entspricht der platonischen Vorstellung von Politik, hiernach etabliert sich die politische Ordnung durch die quasi-natürliche Einnahme der sozialen und politischen Positionen durch die Einzelnen. Das funktionierende Zusammenleben wird durch Sitten und Gebräuche erreicht und durch die Erziehung. Eine eigentliche politische Sphäre gibt es nicht. Diese ist jedoch in der Parapolitik vorhanden, die den Demos und das Prinzip der Gleichheit integriert. Sie konzentriert sich auch auf die Souveränität des Einzelnen, damit ist das politische Paradox ausgeschaltet.

Die Metapolitik wiederum bedeutet Ungerechtigkeit und Ungleichheit (S. 118). Sie bezieht sich auf die Realität des Sozialen, die sozialen Klassen. Es geht um eine konstitutive Lüge, ein Diskurs über die Falschheit der Politik. Hier scheint Rancière nicht mehr seinen eigenen Politikbegriff zu meinen. Er führt dazu außerdem noch den Ideologiebegriff an und nennt das „Ende der Politik“ im Zusammenhang mit dem Niedergang der marxistischen Staatsformen:

La fin de la politique que l’on prononce sur la tombe des marxisismes policiers n’est en somme que l’autre forme, la forme capitaliste et libérale de la méta-politique marxiste (S. 124).

Die Meta-Politik ist auch hier nicht das Ende, sondern Rancière betont die Gültigkeit der Ideale von Gleichheit und Gerechtigkeit, die in bestimmter Weise von sozialen Gruppen aufgegriffen werden.

Rancière setzt sich implizit mit dem Ansatz marxistischer Politik auseinander, die über die Schaffung ökonomisch gleichwertiger Bedingungen beanspruchte eine gerechte Gesellschaftsform zu etablieren. Demgegenüber waren demokratische Organisationsformen nachgeordnet, bloße Form. Ab 1989 jedoch sind alle Staaten auf marxistisch-kommunistischer Grundlage zusammengebrochen und damit auch dieser politische Ansatz.

Es blieb die kapitalistische Wirtschafsform und die parlamentarische Demokratie bzw. deren Institutionen. Rancière scheint diese Entwicklung erst einmal hinzunehmen und gleichzeitig eine Sprache zu finden, die dennoch bestehende Unzulänglichkeiten aufnimmt.

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